Die Kraft der Ambivalenz

Kennst Du Si­tua­ti­o­nen wie diese? Du möch­test schon län­ger einen wich­ti­gen be­ruf­li­chen oder pri­va­ten Rich­tungs­ent­scheid fäl­len. Der Kopf be­vor­zugt klar eine Rich­tung. Trotz­dem bist Du nicht in der Lage, Dich zu ent­schei­den. Du fühlst Dich zwi­schen ver­schie­de­nen Op­ti­o­nen hin- und her­ge­ris­sen. Du drehst und wen­dest es, es passt nichts rich­tig. Nicht genug, nun mel­det sich auch noch die drän­gen­de in­ne­re Stim­me: «Ent­scheid dich doch end­lich!». Das ist sie, die be­rühmt-be­rüch­tig­te Am­bi­va­lenz.

Wie wir Am­bi­va­len­zen als Weg­wei­ser zu klu­gen Ent­schei­dun­gen nut­zen kön­nen, davon han­delt die­ser Blog­bei­trag.

Mit stei­gen­den Ansprü­chen an ein er­füll­tes Pri­vat- und Be­rufs­le­ben kom­men viele Men­schen in Ent­schei­dungs­si­tua­ti­o­nen, die in­ne­re Zer­ris­sen­heit, Druck oder Zwei­fel aus­lö­sen kön­nen. Die vie­len Wahl­mög­lich­kei­ten tun ihres dazu. Auf­grund des er­leb­ten Un­ver­mö­gens, sich klar für eine Op­ti­on ent­schei­den zu kön­nen, ge­sellt sich viel­fach Selbst­ab­wer­tung dazu.

Am­bi­va­lenz als in­ne­rer Zu­stand einer Per­son be­schreibt die Gleich­zei­tig­keit des Ge­gen­sätz­li­chen zwi­schen Den­ken, Füh­len und Han­deln. Gun­ther Schmidt spricht sogar von Mul­ti­va­len­zen: Je nach Si­tua­ti­on kön­nen ver­schie­de­ne Sei­ten in ein und dem­sel­ben Men­schen ak­ti­viert wer­den, die un­ter­schied­li­che Er­leb­nis­zu­stän­de her­vor­ru­fen.

Schnel­le Ent­schei­dun­gen be­wah­ren zwar vor Span­nungs­zu­stän­den, füh­ren aber auch dazu, dass wir stim­mi­ge­re Op­ti­o­nen über­se­hen.

Wie kön­nen wir Am­bi­va­lenz nut­zen?

Es be­ginnt damit, die Gleich­zei­tig­keit von Ge­gen­sät­zen an­zu­er­ken­nen und zu ler­nen, Nicht-Wis­sen, ge­fühls­mäs­si­ge Ver­wir­rung und Hand­lungs-Blo­cka­den aus­zu­hal­ten. Am­bi­va­len­zen sind in un­se­rer kom­ple­xen Welt nor­mal und geben Hin­wei­se auf zen­tra­le gleich­zei­tig be­ste­hen­de, wi­der­sprüch­li­che Be­dürf­nis­se, wie z.B. das Be­dürf­nis nach Si­cher­heit vs. das Be­dürf­nis nach neuen Er­fah­run­gen: Kün­di­ge ich nun ins Blaue oder nicht?

In sol­chen Mo­men­ten lohnt es sich, sich Zeit für eine ver­tief­te Aus­le­ge­ord­nung zu neh­men: Sich mit allen Ein­fluss­fak­to­ren zu be­schäf­ti­gen, die Viel­falt der Ge­dan­ken und Ge­füh­le wahr­zu­neh­men, mög­li­che Aus­wir­kun­gen von Ent­schei­dun­gen zu re­flek­tie­ren und zu er­spü­ren. Das kann auf un­ter­schied­li­che Weise an­ge­gan­gen wer­den:

Eine künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung kann hilf­reich sein, z.B. ein Bild malen oder eine Skulp­tur ge­stal­ten. Auch schrei­ben ist eine gute Mög­lich­keit, seine Wahr­neh­mung zu er­wei­tern und zu ord­nen.

Ge­sprä­che, bei denen die Ge­sprächs­part­ner:innen gut zu­hö­ren und ihre ei­ge­ne Wahr­neh­mung zum Ge­hör­ten und zu Emo­ti­o­nen tei­len, kön­nen die ei­ge­ne Re­fle­xi­on ver­tie­fen.

Jede Seite, die als in­ne­re Stim­me in uns spricht, soll­te genau an­ge­hört wer­den. Was für eine Ge­schich­te er­zählt uns die in­ne­re Stim­me jeder Seite über uns? Was er­fah­ren wir dabei über uns? In­ne­re Selbs­t­er­kun­dung ist an­ge­sagt und viel­leicht ge­lingt es sogar, diese in­ne­ren Stim­men mit­ein­an­der in Di­a­log zu brin­gen.

Wich­tig ist, ei­ner­seits nichts zu über­stür­zen und an­de­rer­seits den Kern der ei­ge­nen Am­bi­va­lenz zu fin­den. Die in­ne­ren Be­we­gun­gen soll­ten wahr­ge­nom­men wer­den und ei­ge­nen Ab­sich­ten soll­ten rei­fen. Es ist ent­schei­dend, zu be­ob­ach­ten, wie sich Op­ti­o­nen und Am­bi­va­len­zen im Laufe der Zeit ent­wi­ckeln. Viel­leicht zeich­nen sich plötz­lich «so­wohl-als-auch»- oder «weder-noch»– Lö­sun­gen ab oder es ent­steht Mut oder Ge­las­sen­heit für einen nächs­ten Schritt, auch bei be­ste­hen­blei­ben­der Am­bi­va­lenz.

Am­bi­va­lenz birgt eine be­son­de­re Kraft, wenn man ge­willt ist, sich mit ihr aus­ein­an­der­zu­set­zen und sich selbst ste­tig bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. Es er­for­dert etwas Auf­merk­sam­keit und Zeit, und man wird reich be­schenkt.

Wei­te­re Li­te­ra­tur, Vi­de­os:

Ma­ri­na Barz und Wolf­gang Looss (2008): Die ver­bor­ge­nen Ju­we­len der Am­bi­va­lenz. Pro­fi­le 16/08.

Gun­ther Schmidt (2013): Will ich jetzt am­bi­va­lent sein oder nicht? Vor­trag vom 21.3.2013 in Ka­rls­ru­he prä­sen­tiert von der Ge­sell­schaft für sys­te­mi­sche Be­ra­tung

Beitrag von René Frey
Am 05.02.2024

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